06 November 2008

Die Jahre der Aliens (Robert Silverberg)

Robert Silverberg ist einer der großen Alt-Meister der amerikanischen Science Fiction. Er wurde 1935 in New York geboren und schon mit neunzehn Jahren veröffentlichte er seine erste Kurzgeschichte im britischen Pulp-Magazin Nebula SF. Er studierte Vergleichende Literaturwissenschaften und arbeitete ab 1955 hauptberuflich als Autor. Nach zwei längeren Schaffenskrisen Anfang der Sechziger und Ende der Siebziger Jahre, kehrte er 1980 als Schriftsteller zurück und schrieb seit dem über ein dutzend viel beachteter Romane. Silverberg gewann mehrfach sowohl den Nebula-, als auch den Locus- und den HUGO-Award.

„Die Jahre der Aliens“ beginnen mit dem urplötzlichen Erscheinen außerirdischer Raumschiffe, die ohne ein erkennbares Muster überall auf der Erde landen. Zuerst ignorieren sie die Menschheit völlig und entwickeln undurchschaubare Aktivitäten, dann schalten die Aliens auf der gesamten Welt den Strom ab und versetzen den Planeten dadurch technologisch ins Mittelalter. Ohne nur einmal mit der Menschheit in einen direkten Kontakt getreten zu sein, haben die einfach Wesen genannten Aliens binnen Tagen jegliche Gegenwehr gebrochen und die Erde erobert. Mit Hilfe von menschlichen Kollaborateuren, gefügig gemacht durch den so genannten „Druck“, durch den die telepathisch begabten Aliens die Menschen suggestiv beeinflussen, bauen die Außerirdischen ein umfassendes System der Unterdrückung auf.
Angeführt vom alten Vietnamveteran Oberst Anson Carmichael, verschanzt sich die gesamte Carmichael-Familie auf ihrer Ranch in den Bergen von Kalifornien und versucht von dort aus den Widerstand gegen die übermächtig wirkenden Wesen zu organisieren. Der Kampf gegen die außerirdischen Invasoren wird von Generation zu Generation weiter geführt, doch den Wesen scheint mit keinem irdischen Mittel beizukommen zu sein...

In „Die Jahre der Aliens“ flossen die Kurznovellen „Beauty in the night“, „On the Inside“ und „The colonel in autumn“ ein, die Silverberg in den Jahren 1997 und 1998 im Magazin Science Fiction Age veröffentlichte. Mit diesem Roman scheint er auf den ersten Blick eine weitere Aliens-erobern-die-Welt-Story geschrieben haben, ein Thema, das für die Science Fiction-Leserschaft eigentlich spätestens nach Wells „Krieg der Welten“ abgefrühstückt sein sollte. Oder doch nicht?
„Die Jahre der Aliens“ erstrecken sich über ein halbes Jahrhundert, in denen unser Heimatplanet den extraterrestrischen Eroberern ausgeliefert ist. Der Widerstand erwächst über die Jahre in nur einem Bruchteil der Menschen, während der Großteil der Erdbevölkerung sich nach globalem Stromausfall und künstlichen Alien-Seuchen in sein Schicksal ergibt und die Wesen als ihre neuen Herren akzeptiert.
Silverberg geht bei „Die Jahre der Aliens“ relativ geschickt vor und vermeidet die Fehler, die seine Schriftstellerkollegen in den üblichen Plots über eine Alien-Invasion gemacht haben. Er braucht keine Riesenraumschiffe, die amerikanische Städte verwüsten, keine Klischee-Helden, die das Alien-Problem binnen kürzester Zeit durch ihren Wagemut lösen oder einen bemühten Kniff mit dem Brecheisen, um die Handlung zu einem Ende zu führen. Vielmehr legt Silverberg sein Augenmerk auf die Situation der Menschen an sich, ihre Gefühle, ihre Beziehungen untereinander und wie sie sich in dieser völlig veränderten Welt entwickeln.
Vor den Augen des Lesers entsteht eine neue, in letzter Konsequenz leider vorstellbare Sklaven-Gesellschaft, die dominiert wird vom Kampf ums Überleben und der Wahl zwischen Kollaboration mit den neuen Herren oder der Verschickung in ein Arbeitslager. Trotz seines flüssigen, gut lesbaren Stils schafft Silverberg es, eine geradezu bedrückende Atmosphäre aufzubauen.
Seine Außerirdischen indes bleiben bis zum Ende des Romans unnahbar in ihren Handlungen und ihrer Denkweise, stehen technologisch auf einem unfassbar hohen Niveau und wirken dadurch sowohl für den Leser, als auch für die Protagonisten des Romans nicht greifbar und völlig entrückt. Das ist auch gut so, da sie lediglich das Gerüst des Szenarios bilden, in dem sich die viel weiter gefasste Handlung bewegt. Wäre Silverberg hier nicht konsequent gewesen, hätte die Wesen womöglich vermenschlicht und in die direkte Handlung mit einbezogen, hätte der Roman vermutlich leicht ins lächerliche kippen können.

„Die Jahre der Aliens“ ist ein rasant geschriebenes Gedankenspiel mit einer zugegebenermaßen uralten Idee der Science Fiction. Der Roman besticht durch den Tiefgang seiner Charaktere und kann jedem Science Fiction-Leser uneingeschränkt empfohlen werden.

Robert Silverberg „Die Jahre der Aliens“
Originaltitel „The Alien Years“
Übersetzung von Walter Brumm
Heyne Verlag, München, 2000
Paperback, 594 Seiten
ISBN 3-453-17101-2, Euro 9,80

05 November 2008

Die Krieger der Stille (Pierre Bordage)

Pierre Bordage, Jahrgang 1955, gilt als einer der erfolgreichsten SF-Schriftsteller Frankreichs und übertrifft in seinem Heimatland mit den Verkaufszahlen regelmäßig seine Genrekollegen aus dem angloamerikanischen Sprachraum. Nachdem der Heyne-Verlag den Erscheinungstermin mehrfach verschob, hatte nun endlich auch die deutsche Leserschaft Gelegenheit, sich einen Eindruck von Bordages Können zu verschaffen. „Die Krieger der Stille“ ist der erste Band einer gleichnamigen Trilogie, die mit den beiden Bänden „Terra Mater“ und „Die Zitadelle der Hyponeros“ in Frankreich bereits abgeschlossen wurde. Beide Bände erscheinen im nächsten Jahr ebenfalls bei Heyne.

Wir befinden uns etwa vier- bis fünftausend Jahre in der Zukunft. Ein großer Teil der Galaxis ist in der Naflinischen Konföderation zusammengeschlossen, einem Bund prinzipiell unabhängiger, sonnensystemgroßer Staaten, deren Herrscher sich alle paar Jahre treffen um die Entscheidungen für die Konföderation als ganzes zu treffen. Auf Syracuse, einer der Hauptwelten der Konföderation, haben jedoch die so genannten Scaythen die Herrscherfamilie unterwandert und streben zusammen mit der fanatischen „Kirche des Kreuzes“ die Zerschlagung der Konföderation und die komplette Machtübernahme im von Menschen besiedelten Weltraum an. Dem entgegen stehen eigentlich nur die „Krieger der Stille“, einem Ritterorden, der vor langer Zeit gegründet wurde, um das Sternenreich gegen Bedrohungen von außen zu beschützen. Doch der Orden ist von inneren Machtkämpfen zerrissen und unterliegt schließlich den mittels Gedankenkraft tötenden Scaythen.
In diesen Konflikt gerät der junge Tixu Oty, der ein Reisebüro auf einem Hinterwäldlerplaneten führt, als er der Tochter eines hochrangigen Kriegers zur Flucht vor den sie jagenden Scaythen verhilft.

Beworben im Klappentext mit einer Aussage von Andreas Eschbach über „eine epische Wucht, die ihresgleichen sucht“ und einem Vergleich mit Frank Herberts DUNE, hat man dem Roman keinen Gefallen getan. Damit wird beim Käufer nämlich eine Erwartung geschürt, die der Roman einfach nicht bedienen kann. „Die Krieger der Stille“ einzuordnen, fällt während der ersten paar hundert Seiten sowieso ziemlich schwer.
Eine der größten Stärken des Romans ist bestimmt das farbenfrohe Universum, das der Autor Pierre Bordage vor dem Leser ausbreitet. Im Rahmen der Handlung werden viele Planeten der Konföderation vorgestellt und detailliert geschildert. Stellenweise erreicht der Autor dabei eine wirklich beeindruckende Intensität.
Allerdings wechselt Bordage mit jedem Kapitel sowohl den Ort der Handlung, als auch den Protagonisten, so dass sich der Leser erst zur Mitte des Buches hin wirklich einigermaßen innerhalb der Geschichte orientieren kann. Dadurch gestaltet sich das Lesen relativ schwerfällig, und die Spannung, die der Plot sicherlich hergegeben hätte, bleibt leider völlig auf der Strecke.
Was zudem ziemlich schwer im Magen liegt, ist der übertriebene Mystizismus, den Bordage in die Geschichte eingeflochten hat. Was bei „Star Wars“ filmisch mit den Jedi-Rittern vielleicht einigermaßen funktioniert hat, reißt „Die Krieger der Stille“ leider ziemlich in die Mittelmäßigkeit. Dass der Reisebüroangestellte Tixu Oty, der sich in der zweiten Hälfte des Buches überhaupt erst als Hauptcharakter herauskristallisiert, zunächst vom Echsengott des Planeten Zwei-Jahreszeiten ausgewählt wird, dann den „Klang der Stille“ von der auf der Flucht befindlichen Tochter eines prominenten Kriegers verliehen bekommt, später auf dem Planeten Selp Dik von irgendwelchen mythisch verbrämten Meeressäugern als der Auserwählte gerettet und schließlich auf der alten Erde als Heilsbringer erwartet wird, wirkt furchtbar beliebig und konstruiert.
Nicht sonderlich originell und in der Detailliertheit der Beschreibung abstoßend ist leider auch, dass die ziemlich katholisch wirkende „Kirche des Kreuzes“ selbstverständlich aus pädophilen Priestern besteht, die meisten Herrscher der Konföderation natürlich einen kompromittierten, ungeliebten Verwandten haben, der nach dessen Macht und außerdem nach dessen Frau strebt und auch prinzipiell über den ganzen Roman Frauen auch gerne mal vergewaltigt werden, wenn sie nicht zu Willen sind.

Insgesamt lässt einen „Die Krieger der Stille“ nach immerhin über 750 Seiten ziemlich unbefriedigt zurück. Zum einen wird man als Leser die ganze Zeit das Gefühl nicht los, der Autor habe beim Schreiben Dan Simmons „Hyperion“-Romane im Hinterkopf gehabt. Außerdem werden viele Fragen aufgeworfen und wenige davon bis zum Ende beantwortet. Das mag im Auftaktband zu einer Trilogie an sich legitim sein, dennoch wirkt „Die Krieger der Stille“ dadurch sehr unfertig. Unter dem Strich ein eher durchwachsenes Debüt auf dem deutschen Markt, nach dessen Lektüre sich der Erfolg von Pierre Bordage in Frankreich dem Verständnis weitgehend entzieht.

Pierre Bordage „Die Krieger der Stille“
Originaltitel „Les guerriers du silence“
Übersetzung von Ingeborg Ebel
Roman, Heyne-Verlag, München 2007
Paperback, 752 Seiten
ISBN: 978-3-453-53050-8, 15 Euro

04 November 2008

Sie waren Helden...

Es war irgendwann im Herbst 1986, als mein großer Bruder eines Tages mit einer Schallplatte nachhause kam, die mich nachhaltig beeindrucken und schließlich die Bildung meines Musikgeschmacks extrem beeinflussen sollte.

Als damals knapp zwölfjähriger Steppke faszinierte mich zuallererst das Cover: Unter dem Logoschriftzug der Band sah man ein große, düsteres Feld mit weißen namenlosen Grabkreuzen; im Hintergrund schwebten zwei Hände im Himmel, von denen die Fäden eines Puppenspielers in das Gräberfeld hinabhingen. Als mein Bruder die Platte auflegte und mit einem gehörigen Stampfen eine für mich damals höllisch laute, aber unglaublicherweise extrem gefällige und melodiöse Musik aus den Boxen quoll, war es um mich geschehen.

Der Titel der Platte: Master Of Puppets. Der Name der Band: Metallica.

Für jemanden wie mich, dessen musikalischer Horizont damals nicht über David Bowie, Meat Loaf und Marillion hinausging, war “Master Of Puppets” eine Offenbarung. Die Platte bot alle Trademarks, die man heute als klassischen “Bay-Area-Trash-Metal” bezeichnet: es war schnell, es war laut, es war kompromißlos und es fehlte trotzdem nicht an Eingängigkeit. Die Texte (die ich damals ehrlich gesagt nur rudimentär wahrgenommen und verstanden habe) drehten sich laut der geduldigen Erklärungen meines Bruders um Kriegstreiberei, religiösen Fanatismus und Monster. Na damit konnte man sich doch gut identifizieren!

Ich zog mir die Platte damals auf Tape und hörte sie den lieben langen Tag (wann immer es halt möglich war) rauf und runter. Noch heute kann ich die Platte komplett aus dem Eff-Eff mitsingen.

Es kam, wie es kommen musste - nach der “Master Of Puppets” mußte Nachschub her. Es folgten erstmal (wenn ich mich recht erinnere) “South Of Heaven” von Slayer, “The Legacy” von Testament und “So far, So good, So what?” von Megadeth. Und außerdem natürlich die beiden Vorgängeralben von “Master Of Puppets”, das Metallica-Debüt “Kill ‘em all” und “Ride The Lightning”. Der Thrash-Metal hatte mich endgültig in seinen Fängen.

Schließlich lieferten Metallica mit “…And Justice For All” 1988 ihr absolutes Meisterstück ab (es gibt eine Menge Musik-Fachleute, die der Meinung sind, dies sei schon “Master Of Puppets” gewesen - ich bin anderer Meinung, werde mich da aber bestimmt nicht streiten) und feierten mit dem auf dem Film “Johnny Got His Gun” (bzw. der dem Film zugrunde liegenden Novelle von Dalton Trumbo) basierenden Anti-Kriegssong “One” ihren ersten großen kommerziellen Erfolg.

Wenn es jemals in meinem Leben jemanden gab, der dem Status “persönliche Helden” nahe kam, dann waren das Metallica zu just diesem Zeitpunkt.

MetallicaDrei Jahre später schließlich begann - zumindest von meinem Standpunkt aus - der Niedergang meiner Helden mit der Veröffentlichung des sogenannten “Black Albums”. Zwar sind einige ziemlich amtliche Songs darauf, aber man kann nicht wegdiskutieren, dass diese Platte vor allem eins war: Kommerziell. Und das ging gar nicht.

Die Herrschaften verdienten nun richtig - ich meine: RICHTIG - Kohle und verhielten sich auch so. Drummer Lars Ulrich schwebte gar in völlig überirdischen Gefilden und bezeichnete sich selbst und Gitarrist/Sänger James Hetfield in einem Interview als die “Lennon/McCartney des Heavy Metal”. Naja.

Der Niedergang setzte sich dann leider in den darauf folgenden Jahren fort: Mit “Load” (1996) und “Reload” (1997) trieben sie die Kommerzialität und leider auch die Belanglosigkeit auf die Spitze. Zwar folgte mit “S&M” 1999 ein ziemlich gutes Live-Album, das Metallica zusammen mit einem Symphonie-Orchester aufnahmen, doch “S&M” zehrte natürlich hauptsächlich von altem Songmaterial.

Tiefpunkt dieser Entwicklung war die Veröffentlichung von “St.Anger”im Jahr 2003. Die Songs sind zwar wieder deutlich roher und bieten ein paar Highlights. Von der kompositorischen Warte aus gesehen ist “St.Anger” aber nur als minderwertig zu bezeichnen, und der Sound der Platte ist ein völliges Desaster. Die Entstehung dieses Albums wurde von Metallica in dem Film “Some Kind Of Monster” dokumentiert, die die Band vor allem als eines präsentiert: völlig selbstverliebte und mit sich selbst beschäftigte Rockstar-Pussies, die über all ihrem Geld vergessen haben, wie man gute Songs schreibt.

Kommen wir jetzt mal zum Grund für diesen Blogeintrag. Jüngst veröffentlichten Metallica nun ihr neues Album “Death Magnetic”. Mit viel Tam-Tam und gehörigem Werbeaufwand (z.B. exklusive Videos, Interviews und Vorabversionen einiger Songs auf der geschützten Internet-Site “Mission Metallica”, bei der der Zugang freilich kostenpflichtig war) versprach man vollmundig die Rückkehr zum Thrash-Metal. Meine Erwartungen waren groß, meine Hoffnung eher klein.

“Death Magnetic” besticht sicherlich durch einen Sound, der wieder deutlich härter ist und sich irgendwo zwischen “Master Of Puppets” und “…And Justice For All” bewegt. Zwar sind die Songs deutlich zu basslastig und laut abgemischt, das ist aber nicht weiter schlimm. Es gibt eine Handvoll Songs, die relativ gut sind (”My Apocalypse”, “The Judas Kiss”), einige mittelprächtige (”The Day That Never Comes”) und einige, die man leider nur als kompositorischen Bodensatz bezeichnen kann (”The Unforgiven III” [schon Teil II war völlig unnötig], “Suicide & Redemption”).

Immerhin: Die Stücke sind wieder deutlich länger, break- und riffbetonter und verströmen nicht mehr den kommerziell faden Beigeschmack wie die letzten Platten. Es ist immerhin ein Anfang und es geht in die richtige Richtung. Vielleicht wird ja die nächste Scheibe wieder ein richtiger Kracher - wenn ich auch zugeben muß, dass bei Metallica in den letzten 17 Jahren das Prinzip Hoffnung ja leider eher nicht angebracht war.

Wo ich allerdings nach wie vor ein Problem mit Metallica habe, ist die kommerzielle Ausschlachtung. Natürlich gönne ich einem Künstler sein Entgeld für die von ihm erbrachte Leistung. Dennoch: die bereits weiter oben bereits angerissene Bewerbungspraxis, für ein paar Video-Schnipsel und Vorab-Auditions im Netz Geld zu verlangen, vor der Album-Veröffentlichung als “exklusiv” angebotene Box-Sets von “Death Magnetic”, die jetzt unlimitiert im freien Handel landen, sowie die exorbitant teuren Tickets für die im nächsten Jahr stattfindende Europa-Tour (in Deutschland zwischen 150 und 250 Euronen je Ticket, im Rest Europas teilweise bis 350 Euronen für einen Stehplatz(!) ) hinterlassen einen mehr als faden Beigeschmack.

Echter Rock ‘n’ Roll geht meines Erachtens nach anders.